In erster
Linie bestand mein „Ego“ daraus gegen mein „böses Ego“
vorzugehen. Ich glaube, dass ich dabei nicht die Einzige bin. Bei
anderen Menschen, die auch schon mal davon gehört haben, dass die
menschliche Existenz in Sein und Ego gespaltet werden kann, beobachte
ich ähnliches, wie an mir. Nur dürften wir unser Vorgehen wohl
individuell verschieden beschreiben.
Ich genoß
es immer bei meinen „Shiatsu- und Psychologen-Freunden Katzen und
Garten zu hüten, weil ich mich dann durch ihre Bibliothek lesen
konnte. Ihre besteht neben ein paar Romanen aus einer gigantischen
Sammlung von therapeutischen Ideen, wie man das überwinden kann, was
einem zur Idee der Therapie bewegt hat. Vor allem mochte ich die
Do-it-Yourself-Progamme, wie man sich eben von bösen Egos und
leidtragenden Lebenshaltungen zu lösen vermag. Daneben finde ich
geschriebenes, philosophisches und spirituelles Gedankengut, das mein
Weltbild bestätigt, oder ich es nicht verstehe, weil es jenseits
meiner Einordnungsfähigkeit liegt.
Das
Vergnügen an der Fülle neuer Ideen, die mich im Vorgehen gegen mein
Ego unterstützen, ließ diesmal die gewohnte Euphorie missen.
Letztlich signalisierten alle diese Lebensberatungskonzepte die
Notwendigkeit etwas verändern zu müssen und führten bei aktuellen
Auftenhalt in der Oase der Ruhe zu einer latenten Unzufriedenheit.
So widmete
ich diesmal meine Aufmerksamkeit neben durstigen Blümchen und leise
miauenden Katzen einem ganz anderen Lesestoff, dem Roman „Das
Herzenhören“ von Jan-Phillipp Sendker. Durch die Botschaft jenes
Buches, so wie ich sie aufnehmen wollte, dass Liebe bedingungslos
ist, löste sich die Härte, mit der ich mein armes Ego auszumerzen
versuchte und dabei meine lebendige Existenz angegriffen hatte. Nach
stundenlangen Weineruptionen stellte sich Erlösung ein. Wellen aus
meiner Körpermitte hatten ohne Auftrag vom Verstand mein Zwerchfell
zum Beben gebracht, mich leichter gemacht und mir mein Bedürfnis
nach Liebe erlaubt. Ich musste an den kleinen Kay aus „Die
Schneekönigin“ denken, der sich nach der Lösung der
Spiegelsplitter aus seinem Herzen plötzlich wieder an die Liebe
erinnerte.
Seit der
Überschreitung der Lebensmitte bestand die Identität meiner
Persönlichkeit in erster Linie darin, eine neue anzunehmen. Man
kann sich das so vorstellen, dass nahezu alles, was ich tue, denke
und fühle in irgendeinerweise dazu beitragen soll, zukünftig etwas
anderes zu tun, zu denken und zu fühlen, natürlich in einem
günstigeren Ausmaß an Belastung durch irgendwelches Leiden als
gegenwärtig. Wobei ich schon lange nicht mehr hinterfragt hatte, ob
dieses Ausmaß tatsächlich noch so groß war, dass es eine
komplette Wandlung erforderlich gemacht hätte. Ich war stur diesem
Bewegungsmodus in Richtung eines vermeintlich veränderten
Bewusstseins gefolgt. In dieser Identität des Strebens lag meine
Motivation, mich mir auseinander zu setzen und die Falle, nie aus dem
Status etwas vorzuhaben
herauszufinden. Es waren nicht die vielen Bücher über Psychologie
und Weiheitslehren, sondern ein Roman, der mir zumindest für die
Stunden der Tränen eine Erlösung von der Überzeugung schenkte,
dass für die Erfahrung der Liebe ein ständiges Vorwärtsstreben
notwendig sei.
Ausreichend
psychologisch bewandert weiß ich natürlich, dass es nie zu diesem
dauerhaften, Kraft zehrenden Identitätsaufbau gekommen wäre - in
meinem Fall noch einer zusätzlichen Anstrengung, sich eine selbst
erkennende Identität zu geben und Energie aufwendig mein Bewusstsein
zu erweitern - wenn ich der Existenz der Liebe gewiss gewesen wäre.
Es gibt wohl
heilende Geschichten.
Es gibt
offensichtlich Autoren, die es wagen sich Gefühlen anzunähern, die
allgemein misstrauisch beäugt oder als nicht existent verleugnet
werden. Vielleicht weil sie weh tun könnten, wenn man ihnen Existenz
einräumt.
Es gibt
anscheinend Männer, die eine Ahnung von solchen Empfindungen haben
und diese auch noch in Worte fassen können.
Es gibt
offenbar Journalisten, die über die Liebe schreiben, und weil man
ihnen nachsagt, dass sie sich mit knallharten Fakten beschäftigen,
sie ebenfalls zur gegebenen Tatsache werden lassen.
Als Frau,
die sich erinnert, regt sich der Wunsch Sie, Herr Sendker,
kennenzulernen, meine Erinnerung an Ihrer Gegenwärtigkeit andocken
zu lassen. Doch ich lege ihn wieder beiseite. Denn ich habe mich
erinnert, also ist diese Präsenz auch in mir.
Vielen Dank,
lieber Herr Sendker für diese wunderbare Erkenntnis.
Herzlichst
UMG