Mariam
Ich näherte
mich gerade dem Ende des Buches Gott
9.0 der Autoren
Küstenmacher/Haberer. - Es beschreibt unterschiedliche Merkmale
einer Gottesbeziehung entsprechend dem Niveau an Bewusstheit, die ein
Mensch zur Verfügung oder ein Kollektiv sich im Laufe der Evolution
erarbeitet hat. - Da erhalte ich die Nachricht vom Tode Mariams.
Sie war
schön und warm. Sie sprach stets gut über mich und mit mir, ließ
Grüße an mich ausrichten über komplizierte Wege für eine
Beduinin, die weder Französisch noch Deutsch sprach. Sie wohnte in
einer anderen Welt, kannte kaum Zivilisation und lebte wohl auf dem
Bewusstseinsstand von Purpur.
Diese
Farbe symbolisiert im Ordnungssystem von Gott
9.0 u.a.
eine Bewusstseinsqualität, in der „die Sippe“ das Lebensgefühl
kennzeichnet, damit Schutz, Aufgabe und emotionale Nahrung bedeutet.
Mariams
Schönheit strahlte von innen heraus. Anfangs
glaubte ich immer, dass ich diesen Gut-Sein-Bonus
bei ihr hatte, weil sie europäische Lebensgepflogenheiten nicht
kannte, und alles, was sie an mir nicht verstehen dürfte, einfach
einer anderen Kultur zuschrieb. Als ich mehr erfassen konnte über
die Umgangsformen der Beduinen, wurde mir allerdings klar, dass sie
so nicht sein konnte. Ich glaube, dass sie keine Gründe dafür
hatte. Denn sie hatte auch sonst kaum Zuordnungen. Sie ließ sich ja
nicht einmal zu bewertenden Aussagen hinreißen, wenn es um das
Festessen vom Nachbarn oder dem Frischegehalt des Gemüses vom Markt
ging. Doch - sie musste Bewertungen gekannt haben. Denn andere
Beduinen fragten mich, weshalb Mariam über mich wie eine Heilige
sprach.
Dass sie in
der Lage war, mich als eine Frau mit völlig anderem Verhaltenscodex
in das abgestecktes Terrain der Zuneigungsverteilung von Purpur
einzubinden, lässt mich annehmen, dass sich in ihrem Bewusstsein
noch andere Merkmale regten, als die, die einem Naturvolk im
Enneagramm der Bewusstseinsstufennnnn von Clare Graves, Ken Wilber
und eben Küstenmacher sowie Habezugeordnet werden.den.
Trotz der
großen Armut, die unter den Beduinen herrschte, wollte ich eines
Tages nicht mehr wegen Geldbedürfnisse von ihnen angebettelt werden.
Denn mein europäisches Wissen, wie man Geld nutzt, damit es nicht in
irgendwelchen Armutslöchern verschwindet, konnte von den Beduinen
nicht angenommen werden. Auch ohne den Prozess kollektiver
Bewusstseinsetappen aus Gott 9.0
zu kennen, hatte ich gemerkt, dass jenes Naturvolk wohl ihren eignen
Entwicklungsweg gehen muss, um Geld so zu verwenden, dass es
längerfristig nützlich ist. Ich weiß noch mein Erschrecken über
diese Erkenntnis, dass diese Menschen, die ich unterdessen heftig
liebte, auf einem anderen Bewusstseinsstand stehen, selbst als jene,
die mich umgaben, und an deren paradoxen Verhalten ich schon
missbilligend eine gewisse Unbewusstheit festgemacht hatte.
Mariam war
angenehm einfach und liebte mich genauso einfach, ohne zu fragen,
warum, weshalb ich was tue. An ihrer Seite konnte ich sein, wie ich
bin, ohne Angst vor Verurteilung. Sicher denken Menschen, die nicht
vertraut sind im Umgang mit einem Naturvolk aus dem arabischen
Kulturraum, dass es dort dieses eher dem Westen zu zu ordnende
Bewerten und Kategorisieren gar nicht gibt. In einer
Inshallah-Mentalität würde vieles, was ein Europäer kritisch als
veränderungswürdig wahrnimmt, als Gott gegeben und unveränderbar
betrachtet. Jedoch - einen Ableger der Beurteilung gibt es, die
üble Nachrede. Mir schien sie
sogar sehr verbreitet. Ich kann kein Arabisch, weiß jedoch von
Beduinen meines Vertrauens, wie es aussieht, wenn Menschen schlecht
über andere sprechen. Und diese Bild tat sich bei meinen
Aufenthalten unter den Beduinen doch sehr häufig vor meinen Augen
auf. Ich konnte sicher deshalb so gut beobachten, wie zwei Körper
zusammen rutschten, die Lippe zu einem leicht verächtlichen Zug
formten, angeregt mit einander sprachen, und dabei beider Blick
auffallend lang in die Richtung einer Person fiel, weil die
Betreffenden davon ausgingen, dass ich sie nicht verstehe.
Und was
Mariam betraf, wusste ich, dass man über sie schlecht gesprochen
hatte, weil so eine, wie ich,
so häufig in der Familie zu Besuch war. Ich möchte nicht aufzählen,
was einer Europäerin, die sich einbildete. angepasst und vorsichtig
in einem fremden Kulturkreis zu agieren, alles so nach gesagt wird.
Mariam hat nicht nur das einfach so belassen, ohne ein Wort der
Verteidigung ihrer oder der Rechtfertigung meiner Person, ohne ein
Wort der üblen Nachrede ihrerseits, sondern auch ihre siebenjährige
Tochter in den Arm genommen, nachdem sie von ihren Mitschülerinnen
wegen der Beziehung zu mir gehänselt wurde und ihren Trost ohne
negative Bewertung für die anderen formuliert.
Als ich
forschte, ob das normal sei, dass Mariam so war, erfuhr ich, dass
ihre Art unter den Beduinen nicht üblich sei. Auf die Frage, weshalb
sie so anders wäre, erklärte man mir, weil sie alles andere nicht
mag.
In meinen
Augen war Mariam einer purpurnen
Ebene
des Bewusstseinspotenzials zuzuordnen, doch dieser Wesenszug von ihr
lag eher auf der gelben
Entwicklungsstufe der spiralförmigen Vorstellung der
Bewusstseinsentwicklung der Menschheit. Sich
dem Kant'schen Kategorischen Imperativ entsprechend zu verhalten ohne
ihn zu kennen, macht ein Ausmaß
an Bewusstheit deutlich und sich trotz Sippenidentität so treu zu
bleiben, verweist auf ein hohes Maß an Selbst- und Gottvertrauen.
Ich finde für diese Gnade, das erlebt haben zu dürfen, keine
angemessenen Worte, die die
Tiefe dieser Art des Seins, beschreiben.
Ich dagegen
war nicht in der Lage Verhaltensweisen einfach zu belassen, ohne
darauf mit Emotionen zu reagieren, ohne zu kategorisieren und mit
Menschen weiterhin leicht zu kommunizieren, obwohl sie sich negativ
über mich geäußert hatten. Fern
von ihr, in meinem Kollektiv von einem Ausmaß an Bewusstheit von
Orange
Grün
bisweilen Gelb,
stellte
ich fest, dass ich das Bild, das ich von ihr hatte, mit den
Eigenschaften eines mütterlichen Ideals ausgestattet war. Sie hatte
meiner frühkindlichen, beigen Verlassenheitserfahrung
ein wenig purpurne
Geborgenheit
gegeben, weil irgendein gelber
oder
gar türkiser
Bewusstseinsfunke von ihr, mich, die
aus einer feindlichen Sippe stammte,
annehmen konnte. Ein Teil meines beigen
Entwicklungsbedürfnisses konnte mit Hilfe dieses Bewusstseinsfunken
ein wenig gestillt werden.
Dieses
Mal hätte ich mir gewünscht, dass ich noch einmal um finanzielle
Unterstützung für Mariams Behandlung gebeten worden wäre. Es
versteht sich von selbst, dass sie das nie getan hatte. Auch wenn das
ihr Sterben nicht verhindert hätte, so hätte ich erfahren, dass sie
schon seit einiger Zeit im Krankenhaus lag und hätte sie dort
besuchen können. Es tut weh, dass ich ihr nicht noch einmal zeigen
zu konnte, dass die Grüße in meinem Herzen angekommen waren, und
dass ich den Umständen, wie mich diese erreicht hatten,
entnehmen konnte, dass ich für sie ein wichtiger Mensch sein musste.
Nein! Dass auch sie immer in meinem Herzen ist. Denn sie würde nicht
für sich wichtig oder unwichtig
denken, sie würde Herz auf
oder zu
fühlen. Ich hätte ihr so gern von Angesicht zu Angesicht meine
Dankbarkeit gezeigt, dass ich durch sie verstanden habe, dass ich gut
bin, und wie wertvoll all die Entwicklungsstufen unseres Bewusstseins
sind.