Ist es der Flügelschlag eines Schmetterlings, der am andern Ende der Welt einen Sturm auslöst oder ein Schachspiel zwischen Vertretern östlicher und westlicher Wertekultur!
Willkür erzeugt Widersprüche
Sie sind meist Ausdruck von unbewussten Emotionen, verdeckten Handlungsabsichten oder klassische Merkmale von Machtmissbrauch. In der Fülle haben sie einen Informationswert für Wahrheiten, die die Basis unter den widersprüchlichen Äußerungen oder Vorgängen bilden. Die Lebensgeschichte von Sakineh Ashtiani ist voll von Widersprüchen, die wie Peitschenhiebe auf sie hernieder gingen. Nach Überzeugung des iranischen Gerichts hatte die in der Ehe angeblich als Sklavin behandelte Frau ihren Mann durch ein Schlafmittel betäubt und als Störung der öffentlichen Ordnung das Urteil Tod durch den Strang erhalten, was später plötzlich in zehn Jahre Haft umgewandelt wurde. In einem zweiten Verfahren wurde sie dann offensichtlich wegen intimer Beziehungen zu zwei Männern mit 99 Peitschenhieben bestraft. Darüber hinaus wurde sie für den mutmaßlichen Ehebruch mit dem Mörder ihres Mannes zum Tode durch Steinigung verurteilt, was im Widerspruch zur offiziellen Aussetzung dieser Art der Todesstrafe seit 2002 steht. Bei den unterstellten Vergehen Sakinehs waren andere beteiligt, die ungestraft oder mit lapidaren Strafmaß davon kamen. Für Sakinehs angeblichen Liebhaber wurde sich strafrechtlich nur für Mord, nicht für seine Mithilfe zum Ehebruch interessiert. Trotz der Zurücknahme von Sakinehs erstem Geständnis bestätigte das Oberste Gericht ohne Erklärung das Todesurteil. Einerseits wurden zwei Gnadengesuche von der Kommission für Amnestien abgelehnt, anderseits erklärte der Richter der Provinz Ost-Aserbaidschan die Bestrafung werde aus humanitären Bedenken verschoben. Dennoch wäre das Urteil endgültig. Im November 2010 wieder versicherte Irans Außenminister Manutschehr Mottaki, das endgültige Urteil wäre noch nicht gefällt, und Ende 2010 wurde die Verurteilung zur Steinigung als symbolisch erklärt. Diese Erklärung ist eine interessante Strategie, vor der Weltöffentlichkeit nicht ohne Kompetenz der Logik betrachtet zu werden. Malek Adschdar Scharifi, der Leiter der Justizbehörde in der Provinz Ost-Aserbaidschan entwickelte gerade den jüngsten Widerspruch zu voran gegangenen Urteilsverkündigungen, indem er angeblich äußerte, dass es bei der Beweislage zum Tod von Sakinehs Mann mehrere Unklarheiten gäbe. Diese Worte könnten eine Vorbereitung sein, um evtl. über Remis aus dem Wettkampf auszuscheiden. Letztlich kann der Iran nicht einfach Forderungen westlicher Demonstranten nachgeben, Sakineh Ashtiani freizulassen. Jedoch löste er endlich die Spannung auf, dass der tatsächliche Mörder von Ashtianis Gatten frei ist, während Sakineh die meiste Zeit im Gefängnis verbringt, indem er mit der Schachfigur der Sohn Sakinehs zieht. Gemäß dem CNN habe dieser bekannt gegeben, dass es nicht fair sei, dass seine Mutter in Haft wäre, während der Mann, der seinen Vater umgebracht habe, in Freiheit sei.
Die Berichterstattung über den Fall wurde Journalisten im Iran verboten. Doch die staatliche Nachrichtenagentur Fars teilte das Asylangebot des brasilianischen Präsidenten da Silvas mit und erwähnte sogar die Steinigung. Diese Art der Bestrafung darf im Iran nicht erwähnt werden. Dennoch ließ die iranische Botschaft in London veröffentlichen, dass Sakineh nicht durch Steinigung sondern anders hingerichtet würde. Mittlerweile sendet das Staatsfernsehen in regelmäßigen Abständen “Fernsehinterviews“ mit Sakineh.
Für Mord gibt es im Iran die Todesstrafe, meist durch den Strang, für Ehebruch die aus humanistischer Sicht härtere Bestrafung der Steinigung. Folgerichtig müsste Mord ein geringes Vergehen darstellen als das, die Ehe zu brechen. Jedoch der iranische Generalstaatsanwalt Mohseni Ejehei erklärte, dass die Bestrafung für Mord Vorrang hat über Sakinehs Verbrechen des Ehebruchs.
Eine ehemalige Mitgefangene Ashtianis berichtete, dass die 43-Jährige mit 99 Peitschenhieben bestraft worden sei, weil eine britische Zeitung eine unverhüllte Frau abgebildet und irrtümlich als Sakineh identifiziert hatte. Während ihrer Haftzeit dürfte wohl kaum ein Foto von der Verurteilten gemacht und erst recht nicht von ihr an die Presse gegeben worden sein. Auf einem älter datierten Foto wäre ein stets verhüllte Frau schwer in einem unverhüllten Zustand zu identifizieren gewesen. Meiner Information nach äußerte sich die iranische Justiz nicht zu diesem Renommeeverlust. Anderseits gab es offensichtlich Bedürfnisse die Gewalt gegen Sakineh zu rechtfertigen, indem durch ihre Geständnisse im iranischen Staatsfernsehen eine Art Angemessenheit ihrer Verurteilung assoziiert wurde. Subtilere Varianten davon bergen jene Aussagen, dass die Justiz sich nicht durch die vom Westen lancierte Propaganda-Kampagne beeinflussen lassen würde, und dass diese Sache nicht für politische Zwecke missbraucht werden solle. Unterdessen kann man durch die Inhalte weiterer TV-Auftritte von Sakineh auch über ein strategisches Inszenierungs- und Rechtfertigungsbedürfnis des Irans mutmaßen. Der letzte Schachzug, dass Sakineh, die Foltervermutungen ihres früheren Anwalts zurück weist und erklärt, dass sie nie gefoltert worden sei, lässt ebenfalls schlussfolgern, dass es der iranischen Republik nicht egal ist, wie die Welt sie sieht. Auf Sakinehs Seite könnte sich dadurch der Widerspruch auftun, dass sie sich ja einst für Mostafaei, der mehrmals erklärte, dass sie gefoltert worden sei, als Anwalt entschieden haben muss.
Ein Geständnis durch Folter zu bewirken, stünde im Widerspruch zu einer realistischen Wahrheitsfindung. Sie würde dann weiter strapaziert, weil durch das iranische Komitee gegen Steinigung bekannt gegeben wurde, dass nicht das erste Mal unschuldige Opfer im Fernsehen vorgeführt, dann auf der Grundlage erzwungener Geständnisse verurteilt werden würden. Dennoch sendete das iranische Staatsfernsehen Sakinehs Geständnisse und ihr Bekenntnis, dass sie eine Sünderin sei.
Nicht zu vergessen das Paradoxon, dass im Iran sicher unbeabsichtigt die Wirksamkeit der Pressefreiheit kundgetan wird, indem sie mehrmals als Einmischung in innerpolitische Angelegenheiten behandelt wurde.
Im Jahre 2006 wurde die Untersuchung des Todes von Sakinehs Ehemann ausgerechnet durch ihre Kinder initiiert, die dann dafür kämpften, dass sie dafür nicht mit dem Tod bestraft werden sollte. Einerseits konnte die Kampagne ihrer Kinder eine sofortige Hinrichtung von Mohammadi Ashtiani im Juli 2010 verhindern, anderseits wurde das Todesurteil nicht aufgehoben. Wieso verschwand Kadersadeh, Sakinehs Sohn, erst seit dem Interview-Versuch mit deutschen Reportern, als er bereits zur global bekannten Person wurde? Seine Abwesenheit wäre dem Regime schon lange nützlich gewesen? Zumindest scheint der Iran seinen Faden an einem auch im westlichen Sinne folgerichtigem Verhalten wieder aufzunehmen. Sakinehs Sohn soll für seine aktuell wieder erlangte Freiheit eine erhebliche Summe an Kaution bezahlt haben. Auch sein „Sinneswandel“ ist ein gelungener Schachzug, er wolle seine Anwälte verklagen, die ihn um das Interview mit den deutschen Journalisten gebeten hätten. Rochiert der Sohn gerade mit dem näheren Turm, der Möglichkeit zur Gnade im Heimatland, statt die Rochade mit den entfernten, der Empörung über Sakinehs Todesurteil in der westlichen Öffentlichkeit, zu setzen?
Botschaften aus dem Unterbewusstsein
Für Menschen mit demokratische Prinzipien ist es sicher auch widersprüchlich, dass der Iran zumindest eine der Scharia kompatible Version der Menschenrechte anerkannte. Wahrscheinlich ist auch manch einer der Regimevertreter von einem angemessenen Vorgehen im Sinne des Völkerrechts überzeugt, weil Widersprüche nur dann wahrgenommen werden können, wenn man sich den Prägungen seiner Kultur bewusst ist.
Kommentare und Proteste von uns engagierten Menschen aus dem westlichen Kulturkreis sind ebenso an unser Wertesystem gebunden, bzw. mit der in Demokratien üblichen Meinungsäußerung vertraut, dass wir Gewalt vergrößernde Reaktionen von Menschen mit einem Bewusstseinsstand wie vor der Aufklärung, nicht ausreichend in der Lage zu berücksichtigen sind. Ungeniert wurde uns Zug um Zug vor Augen geführt, dass Druck Gegendruck erzeugt und die Notwendigkeit auch totalitäre Systeme als ein Teil des globalen Großen Ganzen als gegeben zu betrachten. Denn man muss annehmen, dass mit jeder Kritik an der Gewalt gegen Sakineh aus dem globalen Umfeld, ihr Leiden durch ihre Machthaber demonstrativ vergrößert wurde. Gegenwärtig macht sie in ihrer „Regimetreue“ den Eindruck als Persönlichkeit gebrochen worden zu sein, und damit wurde wiederum westliche Sensationslust brüskiert.
In jeder Kultur weisen widersprüchliches Vorgehen, Machtmissbrauch, Verdrängung und Unbewusstheit auf Mängel an Verständnis hin, in welcher Form Einflussfaktoren ein gemeinsames Ergebnis erzeugen und an Erkenntnis für das, was gegeben ist.
Wenn ein Regime Verbrechen erfindet, wie sich Amnesty International über den Iran äußerte, manifestiert sich nicht nur Macht, indem Ohnmacht erzeugt wird. Sondern es werden internalisierte Werte durch demonstrative Handlungen wieder wahrnehmbar, und Repräsentanten einer spezifischen Moral können sich erneut von ihrer vermeintlichen Berechtigung überzeugen. Auch im Iran, dessen Wertesystem offenbar weder Aufklärung noch Bewusstseinserweiterung symbolisiert, werden durch die Erfindung von Verbrechen gängige Werte ins Gegenwartsbewusstsein der Bevölkerung gerufen und dadurch wiederum leidvolle Gefühle erzeugt, die verdrängt werden müssen, um Alltags- oder Überleben zu sichern. Derartige Prozesse stabilisieren Systeme.
Bemerkungen, wie der Druck der westlichen Staaten sei schamlos, lassen erahnen, dass der Protest gegen Irans Rechtsverständnis bereits vorhandene, unbewusste Emotionen innerhalb dieser Bevölkerung verstärkt, die im Zwiespalt einer Ethik des christlichen Mittelalters und moderner Bedeutsamkeit durch Ölvorkommen und Atomwaffen zu existieren hat.
Im westlichen Kulturkreis machen Demonstrationen und Proteste nicht nur auf Frauenfeindlichkeit, Machtmissbrauch oder einen Strafvollzug ohne demokratische Prinzipien aufmerksam, sondern auch auf die Emotionen von uns (mit)fühlenden Beobachtern. Wie viel verdrängtes Leid, das sich in uns durch christliche Prägung 2000 Jahre angesammelt hat, mag wohl noch nicht befriedet sein, wenn sich Menschen emotional gegen Willkür, Erniedrigung, Folter und Versklavung von Frauen engagieren, um strategisch unvollkommen ihrem Ziel der Verhinderung von Gewalt näher zu kommen? Mit der Kenntnisnahme offensichtlicher Unterdrückung von Frauen in mittelalterlicher Eindeutigkeit erwachsen Möglichkeiten aus westlichem Kulturgut verdrängte Gefühle auszudrücken, die vielleicht unbewusst, wie ein Hase zwischen den Fokuspunkten hin und her springen. Unsere Emotionen zeigen, wir erinnern uns noch an jene Schmerzen, die durch Machtmissbrauch und Gewalt in unseren Gefilden erzeugt wurden.
Auch hängen saubere Recherche ohne Interpretation und missbilligende Vergleiche mit westlichen Werten davon ab, wie frei Journalisten von unbewussten Emotionen aus der Machtvergangenheit westlicher Kulturgeschichte sind und ihre kulturell bedingte Bewertung ebenfalls als eine von vielen in der Welt erkennen. Im Fall Sakineh war es für den interessierten Leser zum Teil schwer den gewohnten roten Informationsfaden zu folgen. Renommierte Pressedienste hielten nicht nur Schuld- oder Unschuldsvermutungen für Sakineh bereit, sondern unvollständige Informationen bildeten Lücken im Mitteilungsfluss. Sakinehs Schicksals wurde seit ihrer Verhaftung mehr als einmal als besiegelt beschrieben. In den Ankündigungen über die Art der Bestrafung wechselte die Dimension der Grausamkeit. Ihre aktuelle Lebensqualität und das Ausmaß ihres Leidens wurden entsprechend des Blickwinkels des Berichterstatters unterschiedlich bedrohlich geschildert. (Wie bekamen westliche Journalisten Einblick in eine muslimische Ehe mitten im Medien abgeschirmten Iran, so dass sie wussten, dass Frau Ashtiani als Sklavin gehalten wurde?) Vielseitigkeit, was Sakineh wohl tatsächlich erlebt hat, statt Deckungsgleichheit an Information scheint die Fülle an Widersprüchen des totalitären Regimes, sowie jene, die stets Merkmale von Machtmissbrauch und Mangel an Bewusstheit sind, zu repräsentieren. Es wird deutlich, dass auch von demokratisch freier Handhabe verwöhnte Medienmitarbeiter berichteten, ohne vollständig informiert zu sein oder Infos in das eigene Wertesystem einbauen, weil es nicht als individuell oder kulturell geprägt, erkannt wird. Westlicher Protest ist so unmittelbar mit demokratischen Prinzipien verbunden, dass die iranische Justiz nicht als solche anerkannt oder in ihr kein folgerichtiges Vorgehen entdeckt werden kann. Dass Druck, der durch Lautstärke aufgebaut wird, für die Welt sichtbar an das Opfer weitergegeben wird, ist uns an Demokratie gewohnte Menschen nicht mehr parat.
Kommentare erklärten Sakineh losgelöst vom Großen Ganzen, allein in einem Schicksal gefangen. Keiner könne wirklich einschreiten, die Macht mittelalterlicher Strukturen sei groß. Es gäbe ja das Völkerrecht. Noch scheint in jenem Land noch nicht mal der Anspruch zu herrschen, Menschen nicht zu Unrecht zu töten. Geschweige dem jener, gesellschaftlich bedingte Umstände, die zu dem führen, was einen Menschen zum Mörder werden ließe, zu erfassen. Wie soll der Rest der Welt dann den Umgang mit Sakineh nicht als eine Art am Rande der Zivilisation wirkende Barbarei betrachten? Mit der Überzeugung, nichts für sie tun zu können, trennen wir sie vom ineinander greifenden, globalen Gefüge ab. Sie dagegen hat in der Welt erneut die Wahrnehmungsbereitschaft aktiviert für inhumanen Strafvollzug, Machtausübung durch Willkür und Folter, sowie die gewalttätige Unterdrückung von Frauen nicht nur im Iran.
Sie würden nur göttliches Recht ausführen, sagte der Oberstaatsanwalt der Provinz Hamedan, Akbar Biglari, über das Rechtssystem der Scharia, weil die göttliche Freiheit nur so weit wahrgenommen werden kann, wie die eigene menschliche reicht. Jedoch zerren internationale Impulse an der Richtigkeit der weiblicher Schuldverinnerlichung, an patriarchalen Gewaltgewohnheiten, am (Un)Rechtsbewusstsein muslimischer Frauen, an der von verdrängten Emotionen durchdrungenen Auslegung der Scharia und lassen sich vor der iranischen Bevölkerung kaum noch verbergen. Denn heute kann sich kein Land dieser Welt mehr Impulsen des globalen, dynamischen Gefüges entziehen, selbst wenn es im Widerstand zu ihnen steht. Auch wir Westler sind aufgerufen, uns zu beobachten, wie viel wir von der göttlichen Freiheit erfassen, wenn die Betroffenheit von Machtmissbrauch, Gewaltherrschaft und Frauenfeindlichkeit noch immer so groß ist.
Anpassung an die Umgebung oder die Umwelt verändern, sichert das Überleben von Lebewesen! Bzw. der Mensch und seine Sozialisationsumgebung beeinflusst, sowie unterschiedliche Gesellschaftsformen formen sich gegenseitig! Alles hängt von einander ab und repräsentiert sich in Allem, erklären Evolutions- und Chaostheoretiker, Atom- und Kosmophysiker, sowie Bewusstseinsforscher. Sich für Menschenrechte auch für muslimische Frauen zu engagieren und nicht mehr aus der weiblichen Welt auszuschließen, fordern Alice Schwarzer und mit ihr im Kontakt stehende Frauenrechtlerin aus der arabischen Welt. Würde, Gewaltfreiheit, humaner Umgang auch mit Andersgläubigen sind Werte des Internationalen Völkerrechts, das auch vom Iran unterschrieben wurde. Menschen, die dort leiden, leiden genauso wie Menschen westlicher Zivilisation und sind darin nicht abgetrennt vom Großen Ganzen. So wie wir, die die unverarbeiteten Leidpartikel aus der Vergangenheit nicht erlösen, indem wir Leiden weg von uns in einen anderen Kulturkreis projizieren. Die Partie zwischen Ost und West wird gemeinsam gespielt.