giovedì 6 gennaio 2011

Alles hängt mit allem zusammen

Ist es der Flügelschlag eines Schmetterlings, der am andern Ende der Welt einen Sturm auslöst oder ein Schachspiel zwischen Vertretern östlicher und westlicher Wertekultur!

Willkür erzeugt Widersprüche
Sie sind meist Ausdruck von unbewussten Emotionen, verdeckten Handlungsabsichten oder klassische Merkmale von Machtmissbrauch. In der Fülle haben sie einen Informationswert für Wahrheiten, die die Basis unter den widersprüchlichen Äußerungen oder Vorgängen bilden. Die Lebensgeschichte von Sakineh Ashtiani ist voll von Widersprüchen, die wie Peitschenhiebe auf sie hernieder gingen. Nach Überzeugung des iranischen Gerichts hatte die in der Ehe angeblich als Sklavin behandelte Frau ihren Mann durch ein Schlafmittel betäubt und als Störung der öffentlichen Ordnung das Urteil Tod durch den Strang erhalten, was später plötzlich in zehn Jahre Haft umgewandelt wurde. In einem zweiten Verfahren wurde sie dann offensichtlich wegen intimer Beziehungen zu zwei Männern mit 99 Peitschenhieben bestraft. Darüber hinaus wurde sie für den mutmaßlichen Ehebruch mit dem Mörder ihres Mannes zum Tode durch Steinigung verurteilt, was im Widerspruch zur offiziellen Aussetzung dieser Art der Todesstrafe seit 2002 steht. Bei den unterstellten Vergehen Sakinehs waren andere beteiligt, die ungestraft oder mit lapidaren Strafmaß davon kamen. Für Sakinehs angeblichen Liebhaber wurde sich strafrechtlich nur für Mord, nicht für seine Mithilfe zum Ehebruch interessiert. Trotz der Zurücknahme von Sakinehs erstem Geständnis bestätigte das Oberste Gericht ohne Erklärung das Todesurteil. Einerseits wurden zwei Gnadengesuche von der Kommission für Amnestien abgelehnt, anderseits erklärte der Richter der Provinz Ost-Aserbaidschan die Bestrafung werde aus humanitären Bedenken verschoben. Dennoch wäre das Urteil endgültig. Im November 2010 wieder versicherte Irans Außenminister Manutschehr Mottaki, das endgültige Urteil wäre noch nicht gefällt, und Ende 2010 wurde die Verurteilung zur Steinigung als symbolisch erklärt. Diese Erklärung ist eine interessante Strategie, vor der Weltöffentlichkeit nicht ohne Kompetenz der Logik betrachtet zu werden. Malek Adschdar Scharifi, der Leiter der Justizbehörde in der Provinz Ost-Aserbaidschan entwickelte gerade den jüngsten Widerspruch zu voran gegangenen Urteilsverkündigungen, indem er angeblich äußerte, dass es bei der Beweislage zum Tod von Sakinehs Mann mehrere Unklarheiten gäbe. Diese Worte könnten eine Vorbereitung sein, um evtl. über Remis aus dem Wettkampf auszuscheiden. Letztlich kann der Iran nicht einfach Forderungen westlicher Demonstranten nachgeben, Sakineh Ashtiani freizulassen. Jedoch löste er endlich die Spannung auf, dass der tatsächliche Mörder von Ashtianis Gatten frei ist, während Sakineh die meiste Zeit im Gefängnis verbringt, indem er mit der Schachfigur der Sohn Sakinehs zieht. Gemäß dem CNN habe dieser bekannt gegeben, dass es nicht fair sei, dass seine Mutter in Haft wäre, während der Mann, der seinen Vater umgebracht habe, in Freiheit sei.

Die Berichterstattung über den Fall wurde Journalisten im Iran verboten. Doch die staatliche Nachrichtenagentur Fars teilte das Asylangebot des brasilianischen Präsidenten da Silvas mit und erwähnte sogar die Steinigung. Diese Art der Bestrafung darf im Iran nicht erwähnt werden. Dennoch ließ die iranische Botschaft in London veröffentlichen, dass Sakineh nicht durch Steinigung sondern anders hingerichtet würde. Mittlerweile sendet das Staatsfernsehen in regelmäßigen Abständen “Fernsehinterviews“ mit Sakineh.

Für Mord gibt es im Iran die Todesstrafe, meist durch den Strang, für Ehebruch die aus humanistischer Sicht härtere Bestrafung der Steinigung. Folgerichtig müsste Mord ein geringes Vergehen darstellen als das, die Ehe zu brechen. Jedoch der iranische Generalstaatsanwalt Mohseni Ejehei erklärte, dass die Bestrafung für Mord Vorrang hat über Sakinehs Verbrechen des Ehebruchs.
Eine ehemalige Mitgefangene Ashtianis berichtete, dass die 43-Jährige mit 99 Peitschenhieben bestraft worden sei, weil eine britische Zeitung eine unverhüllte Frau abgebildet und irrtümlich als Sakineh identifiziert hatte. Während ihrer Haftzeit dürfte wohl kaum ein Foto von der Verurteilten gemacht und erst recht nicht von ihr an die Presse gegeben worden sein. Auf einem älter datierten Foto wäre ein stets verhüllte Frau schwer in einem unverhüllten Zustand zu identifizieren gewesen. Meiner Information nach äußerte sich die iranische Justiz nicht zu diesem Renommeeverlust. Anderseits gab es offensichtlich Bedürfnisse die Gewalt gegen Sakineh zu rechtfertigen, indem durch ihre Geständnisse im iranischen Staatsfernsehen eine Art Angemessenheit ihrer Verurteilung assoziiert wurde. Subtilere Varianten davon bergen jene Aussagen, dass die Justiz sich nicht durch die vom Westen lancierte Propaganda-Kampagne beeinflussen lassen würde, und dass diese Sache nicht für politische Zwecke missbraucht werden solle. Unterdessen kann man durch die Inhalte weiterer TV-Auftritte von Sakineh auch über ein strategisches Inszenierungs- und Rechtfertigungsbedürfnis des Irans mutmaßen. Der letzte Schachzug, dass Sakineh, die Foltervermutungen ihres früheren Anwalts zurück weist und erklärt, dass sie nie gefoltert worden sei, lässt ebenfalls schlussfolgern, dass es der iranischen Republik nicht egal ist, wie die Welt sie sieht. Auf Sakinehs Seite könnte sich dadurch der Widerspruch auftun, dass sie sich ja einst für Mostafaei, der mehrmals erklärte, dass sie gefoltert worden sei, als Anwalt entschieden haben muss.

Ein Geständnis durch Folter zu bewirken, stünde im Widerspruch zu einer realistischen Wahrheitsfindung. Sie würde dann weiter strapaziert, weil durch das iranische Komitee gegen Steinigung bekannt gegeben wurde, dass nicht das erste Mal unschuldige Opfer im Fernsehen vorgeführt, dann auf der Grundlage erzwungener Geständnisse verurteilt werden würden. Dennoch sendete das iranische Staatsfernsehen Sakinehs Geständnisse und ihr Bekenntnis, dass sie eine Sünderin sei.
Nicht zu vergessen das Paradoxon, dass im Iran sicher unbeabsichtigt die Wirksamkeit der Pressefreiheit kundgetan wird, indem sie mehrmals als Einmischung in innerpolitische Angelegenheiten behandelt wurde.

Im Jahre 2006 wurde die Untersuchung des Todes von Sakinehs Ehemann ausgerechnet durch ihre Kinder initiiert, die dann dafür kämpften, dass sie dafür nicht mit dem Tod bestraft werden sollte. Einerseits konnte die Kampagne ihrer Kinder eine sofortige Hinrichtung von Mohammadi Ashtiani im Juli 2010 verhindern, anderseits wurde das Todesurteil nicht aufgehoben. Wieso verschwand Kadersadeh, Sakinehs Sohn, erst seit dem Interview-Versuch mit deutschen Reportern, als er bereits zur global bekannten Person wurde? Seine Abwesenheit wäre dem Regime schon lange nützlich gewesen? Zumindest scheint der Iran seinen Faden an einem auch im westlichen Sinne folgerichtigem Verhalten wieder aufzunehmen. Sakinehs Sohn soll für seine aktuell wieder erlangte Freiheit eine erhebliche Summe an Kaution bezahlt haben. Auch sein „Sinneswandel“ ist ein gelungener Schachzug, er wolle seine Anwälte verklagen, die ihn um das Interview mit den deutschen Journalisten gebeten hätten. Rochiert der Sohn gerade mit dem näheren Turm, der Möglichkeit zur Gnade im Heimatland, statt die Rochade mit den entfernten, der Empörung über Sakinehs Todesurteil in der westlichen Öffentlichkeit, zu setzen?

Botschaften aus dem Unterbewusstsein
Für Menschen mit demokratische Prinzipien ist es sicher auch widersprüchlich, dass der Iran zumindest eine der Scharia kompatible Version der Menschenrechte anerkannte. Wahrscheinlich ist auch manch einer der Regimevertreter von einem angemessenen Vorgehen im Sinne des Völkerrechts überzeugt, weil Widersprüche nur dann wahrgenommen werden können, wenn man sich den Prägungen seiner Kultur bewusst ist.
Kommentare und Proteste von uns engagierten Menschen aus dem westlichen Kulturkreis sind ebenso an unser Wertesystem gebunden, bzw. mit der in Demokratien üblichen Meinungsäußerung vertraut, dass wir Gewalt vergrößernde Reaktionen von Menschen mit einem Bewusstseinsstand wie vor der Aufklärung, nicht ausreichend in der Lage zu berücksichtigen sind. Ungeniert wurde uns Zug um Zug vor Augen geführt, dass Druck Gegendruck erzeugt und die Notwendigkeit auch totalitäre Systeme als ein Teil des globalen Großen Ganzen als gegeben zu betrachten. Denn man muss annehmen, dass mit jeder Kritik an der Gewalt gegen Sakineh aus dem globalen Umfeld, ihr Leiden durch ihre Machthaber demonstrativ vergrößert wurde. Gegenwärtig macht sie in ihrer „Regimetreue“ den Eindruck als Persönlichkeit gebrochen worden zu sein, und damit wurde wiederum westliche Sensationslust brüskiert.

In jeder Kultur weisen widersprüchliches Vorgehen, Machtmissbrauch, Verdrängung und Unbewusstheit auf Mängel an Verständnis hin, in welcher Form Einflussfaktoren ein gemeinsames Ergebnis erzeugen und an Erkenntnis für das, was gegeben ist.
Wenn ein Regime Verbrechen erfindet, wie sich Amnesty International über den Iran äußerte, manifestiert sich nicht nur Macht, indem Ohnmacht erzeugt wird. Sondern es werden internalisierte Werte durch demonstrative Handlungen wieder wahrnehmbar, und Repräsentanten einer spezifischen Moral können sich erneut von ihrer vermeintlichen Berechtigung überzeugen. Auch im Iran, dessen Wertesystem offenbar weder Aufklärung noch Bewusstseinserweiterung symbolisiert, werden durch die Erfindung von Verbrechen gängige Werte ins Gegenwartsbewusstsein der Bevölkerung gerufen und dadurch wiederum leidvolle Gefühle erzeugt, die verdrängt werden müssen, um Alltags- oder Überleben zu sichern. Derartige Prozesse stabilisieren Systeme.
Bemerkungen, wie der Druck der westlichen Staaten sei schamlos, lassen erahnen, dass der Protest gegen Irans Rechtsverständnis bereits vorhandene, unbewusste Emotionen innerhalb dieser Bevölkerung verstärkt, die im Zwiespalt einer Ethik des christlichen Mittelalters und moderner Bedeutsamkeit durch Ölvorkommen und Atomwaffen zu existieren hat.

Im westlichen Kulturkreis machen Demonstrationen und Proteste nicht nur auf Frauenfeindlichkeit, Machtmissbrauch oder einen Strafvollzug ohne demokratische Prinzipien aufmerksam, sondern auch auf die Emotionen von uns (mit)fühlenden Beobachtern. Wie viel verdrängtes Leid, das sich in uns durch christliche Prägung 2000 Jahre angesammelt hat, mag wohl noch nicht befriedet sein, wenn sich Menschen emotional gegen Willkür, Erniedrigung, Folter und Versklavung von Frauen engagieren, um strategisch unvollkommen ihrem Ziel der Verhinderung von Gewalt näher zu kommen? Mit der Kenntnisnahme offensichtlicher Unterdrückung von Frauen in mittelalterlicher Eindeutigkeit erwachsen Möglichkeiten aus westlichem Kulturgut verdrängte Gefühle auszudrücken, die vielleicht unbewusst, wie ein Hase zwischen den Fokuspunkten hin und her springen. Unsere Emotionen zeigen, wir erinnern uns noch an jene Schmerzen, die durch Machtmissbrauch und Gewalt in unseren Gefilden erzeugt wurden.
Auch hängen saubere Recherche ohne Interpretation und missbilligende Vergleiche mit westlichen Werten davon ab, wie frei Journalisten von unbewussten Emotionen aus der Machtvergangenheit westlicher Kulturgeschichte sind und ihre kulturell bedingte Bewertung ebenfalls als eine von vielen in der Welt erkennen. Im Fall Sakineh war es für den interessierten Leser zum Teil schwer den gewohnten roten Informationsfaden zu folgen. Renommierte Pressedienste hielten nicht nur Schuld- oder Unschuldsvermutungen für Sakineh bereit, sondern unvollständige Informationen bildeten Lücken im Mitteilungsfluss. Sakinehs Schicksals wurde seit ihrer Verhaftung mehr als einmal als besiegelt beschrieben. In den Ankündigungen über die Art der Bestrafung wechselte die Dimension der Grausamkeit. Ihre aktuelle Lebensqualität und das Ausmaß ihres Leidens wurden entsprechend des Blickwinkels des Berichterstatters unterschiedlich bedrohlich geschildert. (Wie bekamen westliche Journalisten Einblick in eine muslimische Ehe mitten im Medien abgeschirmten Iran, so dass sie wussten, dass Frau Ashtiani als Sklavin gehalten wurde?) Vielseitigkeit, was Sakineh wohl tatsächlich erlebt hat, statt Deckungsgleichheit an Information scheint die Fülle an Widersprüchen des totalitären Regimes, sowie jene, die stets Merkmale von Machtmissbrauch und Mangel an Bewusstheit sind, zu repräsentieren. Es wird deutlich, dass auch von demokratisch freier Handhabe verwöhnte Medienmitarbeiter berichteten, ohne vollständig informiert zu sein oder Infos in das eigene Wertesystem einbauen, weil es nicht als individuell oder kulturell geprägt, erkannt wird. Westlicher Protest ist so unmittelbar mit demokratischen Prinzipien verbunden, dass die iranische Justiz nicht als solche anerkannt oder in ihr kein folgerichtiges Vorgehen entdeckt werden kann. Dass Druck, der durch Lautstärke aufgebaut wird, für die Welt sichtbar an das Opfer weitergegeben wird, ist uns an Demokratie gewohnte Menschen nicht mehr parat.

Kommentare erklärten Sakineh losgelöst vom Großen Ganzen, allein in einem Schicksal gefangen. Keiner könne wirklich einschreiten, die Macht mittelalterlicher Strukturen sei groß. Es gäbe ja das Völkerrecht. Noch scheint in jenem Land noch nicht mal der Anspruch zu herrschen, Menschen nicht zu Unrecht zu töten. Geschweige dem jener, gesellschaftlich bedingte Umstände, die zu dem führen, was einen Menschen zum Mörder werden ließe, zu erfassen. Wie soll der Rest der Welt dann den Umgang mit Sakineh nicht als eine Art am Rande der Zivilisation wirkende Barbarei betrachten? Mit der Überzeugung, nichts für sie tun zu können, trennen wir sie vom ineinander greifenden, globalen Gefüge ab. Sie dagegen hat in der Welt erneut die Wahrnehmungsbereitschaft aktiviert für inhumanen Strafvollzug, Machtausübung durch Willkür und Folter, sowie die gewalttätige Unterdrückung von Frauen nicht nur im Iran.

Sie würden nur göttliches Recht ausführen, sagte der Oberstaatsanwalt der Provinz Hamedan, Akbar Biglari, über das Rechtssystem der Scharia, weil die göttliche Freiheit nur so weit wahrgenommen werden kann, wie die eigene menschliche reicht. Jedoch zerren internationale Impulse an der Richtigkeit der weiblicher Schuldverinnerlichung, an patriarchalen Gewaltgewohnheiten, am (Un)Rechtsbewusstsein muslimischer Frauen, an der von verdrängten Emotionen durchdrungenen Auslegung der Scharia und lassen sich vor der iranischen Bevölkerung kaum noch verbergen. Denn heute kann sich kein Land dieser Welt mehr Impulsen des globalen, dynamischen Gefüges entziehen, selbst wenn es im Widerstand zu ihnen steht. Auch wir Westler sind aufgerufen, uns zu beobachten, wie viel wir von der göttlichen Freiheit erfassen, wenn die Betroffenheit von Machtmissbrauch, Gewaltherrschaft und Frauenfeindlichkeit noch immer so groß ist.

Anpassung an die Umgebung oder die Umwelt verändern, sichert das Überleben von Lebewesen! Bzw. der Mensch und seine Sozialisationsumgebung beeinflusst, sowie unterschiedliche Gesellschaftsformen formen sich gegenseitig! Alles hängt von einander ab und repräsentiert sich in Allem, erklären Evolutions- und Chaostheoretiker, Atom- und Kosmophysiker, sowie Bewusstseinsforscher. Sich für Menschenrechte auch für muslimische Frauen zu engagieren und nicht mehr aus der weiblichen Welt auszuschließen, fordern Alice Schwarzer und mit ihr im Kontakt stehende Frauenrechtlerin aus der arabischen Welt. Würde, Gewaltfreiheit, humaner Umgang auch mit Andersgläubigen sind Werte des Internationalen Völkerrechts, das auch vom Iran unterschrieben wurde. Menschen, die dort leiden, leiden genauso wie Menschen westlicher Zivilisation und sind darin nicht abgetrennt vom Großen Ganzen. So wie wir, die die unverarbeiteten Leidpartikel aus der Vergangenheit nicht erlösen, indem wir Leiden weg von uns in einen anderen Kulturkreis projizieren. Die Partie zwischen Ost und West wird gemeinsam gespielt.

meine Person

Vita mit vielen Eigentlichs

Dass ich geboren wurde, ist eigentlich klar, denn sonst könnte ich keine Vita schreiben. Wann das war, steht in meinem Personalausweis. Leider kann ich mich nicht erinnern, auch nicht an ein Leben davor. Aber ich war sicher eine Prinzessin. Denn alle weiblichen Wesen, die mir von ihren Vorleben berichtet haben, waren immer Prinzessinnen.

In diesem Leben zumindest bin ich keine und drückte diverse Schulbänke zusammen mit anderen Nicht-Prinzessinnen. Die letzte war die am Richard-Wagner-Gymnasium in...? natürlich Bayreuth, wo sonst? Als Nachfahre von Minna Planer trotze ich gegen die ständigen Huldigungen der Wagner-Dynastie für Cosima Liszt, um die Ehre von Minna zu retten, deren Leistung für Richard Wagners Werk von den Bayreuthern lange Zeit ignoriert wurde.

Eigentlich "war ich kein Kind fürs Gymnasium", bestimmte meine Mutter. Nach der letzten Sitzung in der Schulbank hatte allerdings auch ich einen Zettel erhalten, dass ich reif genug war, nicht mehr zur Schule gehen zu müssen. Schüler meines Jahrgangs von anderen Gymnasien konnten bereits in Leistungskursen ihre Qualitäten zeigen. Doch ich hatte gerade die Laufbahn auf einem Mädchenlyceum beendet, das noch auf traditionelle Werte, wie ein konventionelles Abitur, hielt.

Für die Feierlichkeit der Zettelübergabe in der Stadthalle des provinziellen Bayreuths hatte ich meine Freundinnen zur Vorführung eines Jazzdances mobilisiert. Eigentlich könnte ich gar nicht tanzen, und Rhythmusgefühl hätte ich auch nicht, hatte meine Mutter immer gesagt. Wir Freundinnen hatten uns zu „These boots are make for walking“ von Nancy Sinatra häufiger als für die Abi-Vorbereitungen getroffen. Es kam offensichtlich auch etwas Sehenswertes dabei heraus. Denn unser Direktor hatte sich im Anschluss der Vorführung bei meiner Sportlehrerin für die tolle Leistung bedankt. Meine Sportlehrerin wiederum bedankte sich für das Kompliment. Sie vergaß wohl zu erwähnen, dass sie weder mit der Choreografie, noch mit deren Umsetzung etwas zu tun hatte, und dass es ich war, die das Ding auf die Tanzbeine meiner Mitschülerinnen gestellt hatte.

Mein Leben ging trotzdem weiter. Ich tummelte mich täglich zu sportlichen Anforderungen an einem Hochschulinstitut für Leibesübungen. Irgendwie war mein Schicksal davon geprägt, an konventionellen Einrichtungen traditionelle Werte vermittelt zu bekommen. Nach zwei Jahren als ich es aufgab, mich mit Herzrasen in jenes und in jenem Institut zu bewegen, wurde es umbenannt in Friedrich-Alexander-Universität, Fakultät Sport.
Parallel zu meinen Leibesübungen hielt ich mich bei meinem Versuch, ein Akademiker zu werden, immer bei den Germanisten auf, die doch viel diskutierfreudiger waren als die Sportler. Meine emotionale Hingabe an die alten Klassiker führte allerdings nach Referaten dazu, dass die Gruppe der zuhörenden Kommilitonen schwieg, statt zu diskutieren. Aber eigentlich war ich ein Mensch, der andere zum Reden animierte, statt zum Schweigen, meinte zumindest meine Mutter.

Meinem Hang zum Tanz folgte ich gegen alle Ermahnungen meiner Mitmenschen. Denn eigentlich war ich dafür zu alt. Ich ging in die Schule bei Jutta Czurda, die auf meine für Tänzer alten Tage noch Rhythmus und Ausdruck aus mir herausholte, Eigenschaften, die eigentlich gar nicht in mir steckten. (Ich danke dir, liebe Jutta!)

Danach plätscherte mein Leben so vor sich hin. Ich gebar drei Kinder, die man eigentlich in geordneten Verhältnissen groß zu ziehen hatte. Statt Geld in geordneten Verhältnissen zu verdienen, unterrichtete ich Tanz. Genauer gesagt, Orientalischen Tanz! Denn ich hatte nicht vergessen, dass Jutta Czurda einmal zu mir sagte, dass ich für eine Tänzerin eigentlich zu dick wäre, als ich mit meinen 59 kg vor dem Spiegel in ihrem Studio stand.

Der Orientalische Tanz steckte damals noch in den Kinderschuhe, zumindest in unserer Region. Es gab keine didaktischen und methodischen Lehrmethoden. Ich hatte ihn einmal gesehen, war begeistert und bewarb mich um Kursstunden. Da ich eigentlich Modernen Tanz gelernt hatte, musste ich vor jedem Unterricht mühsam die doch etwas andere Bewegungsform vor dem Spiegel erarbeiten. Ich hatte eigentlich nicht mehr Ahnung als die Teilnehmerinnen der Kurse. Aber ich wusste zumindest, dass diese Tanz schwieriger war, als er aussah und verfügte über Einfühlungsvermögen in europäische Ungelenkigkeit. Meine Besuche bei Fachleuten, die eigentlich als Fortbildung dienen sollte, um dieser anti-europäischen Bewegungsform gerecht zu werden, waren eine psychologische Herausforderung. Ich wurde von arabischen Menschen in einer mir unverständlichen Sprache, die Englisch sein sollte, angebrüllt. In deren Augen war ich eine Null, beschloss dieser Beurteilung und dem damit verbundenen Herzrasen ein Ende zu machen und kaufte mir Videos. (Das waren so Kunststoffschachteln, in denen ein Magnetband steckte, durch dessen Informationen man einen Film auf einem TV-Monitor sehen konnte. Wenn ich so darüber nachdenke, könnte das Datum meiner Geburt auf meiner Plastikkarte eigentlich stimmen.) Ich lernte von den schlängelnden, glitzernden Damen auf dem Bildschirm in meinen Wohnzimmer.

Das Ausmaß an Zurückhaltung, ein weibliches Becken in Bewegung zu setzen, hatte ich gründlich unterschätzt und war neugierig, welche Gründe es dafür geben könnte. So lieferte ich mich einer Therapieform aus, die eigentlich gegen die Regeln des Richard-Wagner-Gymnasiums verstieß, weil sie sich mit den Erkenntnissen von Wilhelm Reich beschäftigte. Die Übereinstimmung seiner Forschungsergebnissen mit den Wirkungen des Bauchtanzes war offensichtlich. Deshalb erschien mir ausgerechnet eine arabische Tanzkunst wie ein Segen für das weibliche Geschlecht. Die praktischen Übungen der Therapiegruppe dagegen glichen einem Desaster. Eigentlich versuchte ich schon den Ansprüchen an eine gesunde Sexualität gerecht zu werden, leider auf einer in meinem Hirn konstruierten Basis. Nach dieser Lern- und Lebensphase wusste ich zumindest, was man lieber bleiben lassen sollte, aber auch wie man den Körper entspannen kann.

Da ich nun Tücken kennen gelernt hatte, die sich durch übermäßige Tätigkeit im Gehirn einstellen konnten, erforschte ich den Zusammenhang zwischen äußeren Einflüssen, gedanklichen Konstruktionen und Entspannungsfähigkeit, vor allem in meinem Körper. Dieser ließ mir auch keine andere Wahl, um mit meinem regelmäßigen Herzrasen fertig zu werden. Ich begab mich erneut in die Schule. Autogenes Training war angesagt.

Die Methode der Selbstbeeinflussung eröffnete mir privat für die doch sehr unangenehmen Erscheinungen als Herzraser, eine Umgangsform zu finden und als Lehrkraft eine Art Robin Hood für den Körper zu werden. Was konnten denn die vielen Körper dafür, dass ihnen unnötige Gedanken immer ihre Funktionen erschwerten? Ich wendete mich von den Ansprüchen des Richard-Wagner-Gymnasiums ab, als wohl erzogen zu gelten und orientierte mich eigentlich dennoch an der Tradition meiner ehemaligen Schule, indem ich mit Hilfe von Autosuggestion weibliche, körperliche Interessen verfolgte. Die Tanzbewegungen der heißen Wüstenländer ließen sich in der Kombination mit dem Autogenen Training leichter vermitteln. Ich erahnte, dass der tanzende Körper der Frau mehr Möglichkeiten an Lebensqualität bot, als üblich angenommen wurde.
Eine Idee mir diese zu Eigen zu machen, lag darin, direkt zu den Orten zu reisen, wo die verheißungsvollen Beckenbewegungen noch ohne Kurstermine gepflegt wurden. Ich schleppte meine Kinder und einige Frauen im Schlepptau ihrer Kinder in die Türkei, nach Marokko und Tunesien. In spektakulären Gruppenauftritten erkundeten wir Land, Leute und den Tanz vor Ort.
Es kamen bisweilen verschwitzte Touristen mit glücklichen Gesichtern in die diversen Hotels und erzählten von ihren Aufenthalten in der Weite des Sandes, der Stille und den netten Menschen, die dort lebten.

Wie gesagt, ich litt nicht geringfügig unter Herzrasen. Aufenthalte in der Wüste sollten dem ein Ende machen. Die Stille, so war meine Hoffung, könnte auch meinem guten, für einen Tänzer mittlerweile schon sehr alten Körper beruhigen. Ich reiste unter komplizierten Umständen in die Sahara und kam tatsächlich an dem Tag an, den ich mir dafür ausgewählt hatte, wenn auch kurz vor Mitternacht.

Die Stille war unbegreiflich still. Schon auf der Ladefläche jenes Pick-Ups, dessen Fahrer, der eigentlich keine Zeit hatte an diesem Tag und fünf Stunden überredet werden musste, dass er mich doch zu dem Ort meines Begehrens brachte, ahnte ich, was sich hinter dem Motorengeräusch verbarg. Der Gott des Orients schenkte mir doch sehr schnell, die Erfahrung, dass meine Ahnung zur Realität wurde. Der Pick-Up steckte im Sand. Die anwesenden Männer mussten schaufeln. Das ist so üblich im Orient, dass Frauen sich daran nicht beteiligen. Ich lief unter dem für mich ungewöhnlichen Sternengeflimmer hinein in die Stille. Sie war tatsächlich so still, wie man es sich eigentlich nicht vorstellen kann.
Ich war nicht nur von den unendlich vielen, blinkenden Punkten über mir beeindruckt, sondern auch von der Tatsache, dass es in dieser Welt einen Ort gab, wo man einfach nichts hörte. Selbst das innere Gemurmel in meinem Kopf zog sich nach Tagen in der Stille zurück, und ich lernte das Leben doch noch ohne Herzrasen kennen.

Nachdem ich bei meinen Reisen in die Wüste gemerkt hatte, dass es dort eigentlich nicht nur nette Menschen gab, konzentrierte ich mich darauf, jene kennen zu lernen, die sich nicht als Retter speziell weiblicher Touristen hervor taten, sondern ihren Lebensort aus Freude an die aus Europa heran gereisten, verstörten Menschen präsentieren wollten. Ich hatte eigene Guides aus dem Volk ehemaliger Nomaden, die meine Mitreisenden und mich in die Wüste begleiteten. Auf Französisch stammelte ich am Telefon vor jeder Reise die Organisationsnotwendigkeiten zusammen, die man für einen Aufenthalt in der stillen Fremde benötigte. Erfahrungen verbinden, vor allem solche, die nicht glatt laufen. Ich gewann neue Freunde, die oft nur arabisch sprachen, und wenn ich Glück hatte auch Französisch.

Als fast gebildete Person bildete ich mir ein, meinen neuen Freunden europäisches Vorgehen vermitteln zu können, wie sie aus ihrer prekären Situation heraus klettern könnten. Allerdings schienen sie das Spannungsfeld, die Ärmsten der Armen in ihrem Lande zu sein, weil sie den Anschluss an eine zivilisierte Sesshaftigkeit finden mussten, besser auszuhalten als ich. Durch meine Aufenthalte in der Stille gestärkt zurück in Deutschland, organisierte ich heftig, während meine Freunde geduldig warteten, bis ich wieder bei ihnen auf der Sandfläche erschien, um Strategien für ihren Fortschritt zu verwirklichen. Ich musste mal wieder meinem Herzrasen ein Ende machen, und ließ die Beduinen den Anschluss an das verheißungsvolle Europa selbst entwickeln. Eine Website und eine Emailadresse wurden eingerichtet. Doch die Möglichkeit meine dunkelhäutigen Freunde direkt zu kontaktieren, die ihnen eigentlich Aufträge für Wüstentouren vermitteln sollte, scheiterte daran, dass kein Europäer sie erreichen wollte. Also blieben die Beduinen im Sand liegen, statt zu kontrollieren, ob sich nicht doch einmal eine Mail zu ihnen verirrt hatte. Eigentlich ein Zeitpunkt, sich aus der Angelegenheit interkulturelle Verbindung zurückzuziehen, wenn nicht meine Liebe zur Stille, zur Wüste und zu den Menschen dort gewesen wäre.
Zuhause, wenn der Gegensatz zwischen Stille und gewohnten Alltag, mir die Hektik meines Lebens deutlich vor Augen führte, schrieb ich in der Ruhe der Nacht über alles, was mir an Erfahrungen so unter die Finger gekommen war. Die Themen entstammten meiner Kindheit, meinen sonderbaren Ehe-Experimenten, der Erfahrung mit unbeweglichen Becken, den Tricks, sich zu entspannen und der Tücke von Stress, umfassten erotische Geschichten, sowie Alltagsphilosophien aus der Welt der Hektik, die keiner verstand. Sie füllten weiße Seiten, die ich nicht aus der Schublade ziehen musste, sondern die sich durch einen Mouse-Klick vor mir auftaten. Irgendwann gab ich mich dem Reiz hin, mein Insider-Wissen aus der stillen Fremde in einen Roman kund zu tun.

Nachdem er fertig gestellt war, lernte ich die Odyssee kennen, mich als Autorin anzubiedern. Ich musste das Paradoxon bewältigen, wie ich als "No-Name", die eigentlich sehr gut schreiben kann, wie Margit Schönberger vom Writers Club mir mitgeteilt hatte, zu jemand zu werden, dessen Namen bekannt ist, damit man meine nächtlichen Tastatur-Aktivitäten veröffentlichte. Eigentlich riet mir jeder, meinem unangepassten Dasein, mit dem man kein Geld verdiente, einen Schlussstrich zu setzen. Aber das Sonderbare war, dass ich auf die Art und Weise, wie ich meine Tage bzw. Nächte verbrachte, doch bisweilen ohne Herzrasen war. Denn eigentlich war mein Leben nicht durch eine Besonderheit der Nicht-Anpassung bestimmt, sondern lediglich davon, wie man diesen sonderbaren Aufführungen in meinem Inneren entkommt.

Allerdings eine Leistung, die als Besonderheit zu bezeichnen wäre, erbrachte ich im bereits gereiftem Alter. Ein junges Mädchen zeigte mir auf einer Silvesterparty in einem herunter gekommenen Atelier eines zumindest regional bekannten Malers, wie man einen fest verankerten Kronkorken mit dem Feuerzeug von einer Bierflasche in den Raum befördert. Es hatte mich schon lange gewurmt, dass meine erwachsenen Kinder sich darüber amüsierten, dass ich diese wichtige Aufgabe nicht beherrschte. Und eigentlich hatte ich es schon aufgegeben, sie noch zu erlernen...

Jetzt kann ich das auch und bin bereit die Dinge des Lebens zu tun, die ich eigentlich nicht kann. Gestorben bin ich noch nicht und hoffe auch noch am Leben zu sein, wenn diese Vita die Augen eines Lesers erreicht. Währenddessen werde ich weiter meinem Herzrasen durch gesellschaftliche Unangepasstheit entgegen wirken und abwarten bis mir der Himmel einen Verleger schenkt, der meine geistigen Ergüsse für druckreif befindet.

für die Zuhörer aus Burgstädt in Sachsen

Liebe Mitwirkende des Radio-Teams,

Sie hatten mich, die Namenlose, überraschender Weise im MDR angekündigt, als Autorin einer Lesung im Christophorushaus in Burgstädt. Auch die regionale Presse gab Hinweise auf diese Feierlichkeit mit besinnlichen Texten zum Advent. Sie kannte sogar meinen Namen. Bei so viel Würdigung überlegte ich, ob ich mein "Kleines Schwarzes" anziehen sollte, Schmuck oder nicht, Schminke oder nicht, muss man aufgeregt sein oder nicht? Alles wichtige Überlegungen vor einer Lesung eigener Texte in einem unbekannten Rahmen. Gut, ich entschied mich für die mittlere Variante, in allen Bereichen: Also Rock und Bluse, ein wenig Schmuck, ein wenig Schminke, ein wenig aufgeregt...

Zur offiziellen Begrüßung der Abendveranstaltung erfuhr ich dann erst einmal, dass ausgerechnet mit meinen Worten zum Advent, das Publikum nach Hause geschickt werden sollte, um sie noch in sich wirken lassen zu können. So, wie ich über die Präsentation meiner Person nachgedacht hatte, surrten nun Gedanken zum Umfang und indirekt artikulierten Qualitätshinweis meines Textes durch meinen Kopf, den die Leiterin, sicherlich gut gemeint, mit ihren Hinweis geäußert hatte. Denn sie konnte ja nicht wissen, dass ich mir nicht sicher war, ob mein Beitrag dem exquisiten Anspruch genügte, dass ausgerechnet er zur Besinnung bis Weihnachten oder gar länger reichen sollte.


 
Der Klavierspieler begann die Tasten zu bewegen und interpretierte vertraute, weihnachtliche Klänge in humorvoller Weise. Seine Gedichte, oft in Mundart, für eine wie mich aus Franken eine interessante Variante vertraute Worte völlig anders auszusprechen, ließen warme Gesichter zaubern, und das eine oder andere laute Lachen erklingen.
Ich vergaß meine Bedenken wegen des viel zu großen Auftakts in Form der Ankündigung zu meiner Person, stimmte in den Gesang des Klavierspielers mit ein, kicherte über seine Witze und ließ mich von seinen Gefühlsausdrücken inspirieren. In dieser besinnlichen Leichtigkeit konnte ich die Menschen um mich herum als Wesen mit offenen Herzen wahrnehmen, die es nicht nötig hatten, Gesichter zu bewahren oder Fassaden der Besonderheit aufzubauen. Mir wurde klar, dass in diesem Ambiente, geprägt von freundschaftlichen Umgangsformen und Bedürfnissen, sich lebendig zu fühlen, die Schwere meiner philosophischen Zeilen nicht dem wahren Interesse der Zuhörer gerecht werden würde. Ebenfalls offenherzig bat ich darum etwas Warmes, Familiäres und damit ja auch Weihnachtliches vorlesen zu dürfen. Es schien mir zu dem bisher Erlebten besser zu passen als eine analytische Schärfe spiritueller Gedanken. Ich durfte!!!

Schon nach den ersten Sätzen lächelten einige meiner frisch lieb gewonnenen Zuhörer wohl wissend. Sie handelten von vertrauten, weit verbreiteten emotionalen Phänomen. Kleine und größere, herzliche Lacher folgten, weil man eben dieses bekannte, anstrengende Thema offensichtlich auch mit Humor nehmen konnte. Ich fühlte mich geborgen in der Solidaritätsgemeinschaft dieser Menschen. Hatten wir uns wohl schicksalstreu zu diesem nicht derart geplanten Anlass vereint? Langsam baute sich der Schluss dieser Geschichte auf, die das Leben geschrieben hatte. Die Gesichter waren gebannt, kein Räuspern, keine Geste, kein Zucken! Ich fühlte eine innere Verbindung mit meinen Zuhörern, als ob wir uns schon lange kennen würden.

Dann war sie erzählt, die Geschichte, die eigentlich keine Geschichte ist, sondern eine offensichtlich weit verbreitete Lebenserfahrung. In dem Moment der Stille bemerkte ich das Schlucken in meinem Hals und dieses sonderbare Gefühl. Es war dasselbe Empfinden, wie das auf Beerdigungen, auf denen man den Leichnam gar nicht als Mensch gekannt hatte. War es wirklich mein Schlucken? Oder gehörte es zur Solidarität mit meinen Zuhörern?
Es folgte ein zaghaftes Klatschen. Eine Frau weinte. Einige aus dem Publikum erzählten mir, dass es ihnen ebenso ergehen würde, wie in der Geschichte, und andere meinten einfach nur, "weiter so"!
Ich hatte nicht vorgelesen, ich hatte auch keinen selbst geschriebenen Text präsentiert, sondern ich war eingetaucht in Nähe und Begegnung zwischen Menschen. Danke, liebes Publikum! Danke liebe Mitwirkende vom Radio, dass ihr es meinen Zuhörern weitersagt.

Was guggst du?


Weshalb hat man ein Blog? Um auf sich aufmerksam zu machen? Weshalb will man auf sich aufmerksam machen? Weil man Angst hat nicht gesehen oder gehört zu werden, wenn man doch heutzutage einen Blog braucht um gehört und gesehen zu werden. Weshalb will man gehört und gesehen werden? Weil man Angst hat, wenn man nicht gehört oder gesehen wird. Angst? Angst! Nicht zu existieren? Irgendeinen Beleg der eignen Existenz braucht der Mensch! Über sich zu lesen und seine Abbildung auf dem Monitor zu sehen, schafft Sicherheit, dass man tatsächlich da ist. Ich betrachte meinen Blog, also bin ich!

Ich weiß, ich habe den Ruf, dass Menschen nicht verstehen, was ich meine. Nicht die, die eine andere Sprache sprechen, nein, auch bei Deutsch Sprechenden. Also machen Sie sich keine Sorgen, wenn Sie keinen der Texte hier verstehen. Sie müssen Sie gar nicht verstehen.

Neben dem Sinn, mich von meiner Existenz zu überzeugen, gibt es nun doch ein weiteres Motiv für diesen Blog. Dem Leser eine Botschaft zu verkünden, die er nicht verstehen muss. Der Besucher kann lesen und gucken, ohne sich zu ärgern. Auch ohne zu zweifeln, versteh ich oder nicht oder ohne sich absolut mit der Nachricht zu identifizieren und den Schreiber am liebsten sofort im Wohnzimmer zu besuchen, aber ebenfalls ohne sich distanzieren zu müssen von einer Aussage, weil sie ohne Distanzierung nicht zu ertragen wäre. Wunderbar, nicht? Einfach nur glotzen.


Was guggst du? Blog!